Scheitern in der Sicht auf Psychopathologie und Therapie
Vom Scheitern betroffen ist immer ein Mensch, sind Menschen als intentional ein Ziel
Anstrebende oder als Autoren einer Handlung, eines Projektes, eines Werkes. Scheitern
im Spektrum von Misslingen eines Unternehmens von peripherer Wichtigkeit bis zum
Zusammenbruch des personalen Selbstseins in schweren psychischen Störungen ist eine
stets gegenwärtige Möglichkeit im Gang des Lebens. Als Auslöser können sich
subjektunabhängige Ereignisse mit selbstdeterminierten Unglücksfällen in verschiedenem
Ausmass kombinieren. Die Persönlichkeiten sind nach ihrer Stabilität, Resilienz,
Flexibilität, Resistenz oder Vulnerabilität, Labilität, Rigidität, nach ihrem Selbstbild,
besonders der Selbstwerteinschätzung unterschiedlich betroffen. Schuldigkeit,
Erniedrigung, Entwürdigung, Scham vor anderen oder vor sich selbst kann als existentiell
erschütterndes, gar zum Scheitern führendes Erleben treffen.
Akute Erschütterungen des Selbstsystems manifestieren sich klinisch sehr variabel, je
nach Persönlichkeit und kulturellem Hintergrund. Chronische Kränkungen können zu
Dauerveränderungen von Persönlichkeitscharakteristika führen. Die Psychotraumatologie
hat sich als Spezialgebiet für Menschen im Scheitern entwickelt. Bei den Schizophrenien
sehen wir das Zusammenbrechen, das Scheitern des Ich/Selbst-Systems, bei den
dissoziativen Störungen das Versagen der synthetischen Integration, bei den
Affektpsychosen das Versagen der Emotions- und Antriebsregulation. Therapien können
scheitern durch Bedingungen, die am Patienten liegen, oder durch Versagen aufseiten des
Therapeuten.
Verlag Wissenschaft & Praxis, 2012 (ISBN 978-3-89673-602-4)