Professor Dr. med. Christian Scharfetter

Dept. of Psychiatry, Psychotherapy & Psychosomatics

Psychiatric Hospital, University of Zurich

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Trithemius

Ekstase — Sophrosyne

Ausser-sich-Sein — Gefasste Besonnenheit

Die Bedeutungen von Ekstase und Trance sind traditionsbestimmt: die Ekstase als Ausser-sich-sein im religiösen Sinn (vorchristlich, Schamanismus, christlich seit dem Neuen Testament, ausserchristlich seit der Öffnung des Abendlandes auf andere Religionen), gelegentlich auch im profanen Sinn (besonders Ausser-sich-sein vor Wut), die Trance (von Hinübergang) als Bezeichnung der Bewusstseinsveränderung im Sterbeprozess ("Hinüber-Dämmern"), später für verschiedene Grade des "Nicht-Daseins" (Absence).
 
Beide kommen in graduellen Abstufungen zwischen äusserlich gut erkennbaren Zuständen mit Erregung und diskreten, nur der Introspektion und retrograden Erzählung zugänglichen Zuständen vor. Beide können mit innerlich reichen und emotional bewegtem Erleben (Begeisterung, Verzückung) oder mit Leere einhergehen. Eine phänomenologische Trennung dieser besonderen Bewusstseinzustände ist nicht eindeutig möglich. Die Beschränkung auf religiöse Inhalte würde das Ausser-sich-sein in Lust (Erotik), Wut, Angst ausschliessen. Auch in Manifestationen von Psychopathologie bekannter und unbekannter Verursachung kommen Ekstase und Trance zur Beobachtung: in Dissoziativen Bewusstseinsveränderungen, im Dämmerzustand, Oneiroid, Fugues, bei schizophrenen Syndromen, paranoid-halluzinatorischen Syndromen, im Delirium und bei manchen Epileptikern.
 
Die Auslöser sind vielfältig zwischen akzidentellen Vorkommnissen (Begegnungen, Gruppensitzungen, psychedelic workshops, religiöse Feste) und intentionalem Daraufhinarbeiten: Fasten, Einsamkeit, Schlafentzug, Musik, Tanz, psychoaktive Substanzen, Variationen des Reizzusstromes (Überschwemmung, Reizentzug). Die Disposition zu dem Ent-, Verrückt- werden oder zum Wegtreten ist in der Persönlichkeit, ihrer Stärke, Stabilität, Struktur, Verarbeitungsmöglichkeit gesucht — im Verhältnis zur Intensität, Vertrautheit oder Fremdheit der Erlebnisse. Soziokulturelle Akzeptanz und Massenwirkung sind zu berücksichtigen. Die Wirkungen solcher Bewusstseinszustände sind sehr variabel zwischen Aufbruch zu neuer Funktion und Rolle (Schamane, Prediger, Prophet, Missionar, Sektengründer), Bekehrung, moralischer Neuorientierung und folgenlosen Ausnahmezuständen. Ekstase und Trance sind weder Zeichen noch gar Voraussetzung geläuterter, schlichter, bescheidener Spiritualität im Sinne der Ausrichtung des Lebens auf das All-Eine.

Verlag Wissenschaft und Praxis (ISBN 978-3-89673-443-3)

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