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Eugen Bleuler 1857-1939
Studie zu seiner Psychopathologie, Psychologie und Schizophrenielehre
Eugen Bleuler (1857-1939) setzte mit seinem Schizophreniebuch (1911) einen Markstein
in die Psychiatrie seiner Zeit und damit auch in die Psychiatriegeschichte. Sein Wirken
im jahrzehntelangen Zusammenleben mit den Kranken unter dem gleichen Dach brache ihm
eine aussergewöhnliche Erfahrung — im Sinne der Vielfalt wie der Nahsicht — von Erleben
und Verhalten von Psychiatriepatienten. Hier lebte die Person Eugen Bleuler mit den
Personen, deren Geschick sie zu Patienten hatte werden lassen. Das war interpersonale
Psychiatrie in tätiger Gemeinschaft. Das wurde vorgelebt als Wesenszeichen Bleulerscher
Psychiatrie. Und das gab eine so andere Sicht auf die Psychopathologie, die Psychiatrie
überhaupt als die professionelle kustodial verwaltende und in den Vorlesungen
demonstrierende Funktionsbeziehung von Klinikchef und Ordinarius und den Patienten.
Diese nahe Anschauung, die auch viel mehr an emotional-affektivem Betroffensein und
Miterleben brachte, zusammen mit der intrafamiliären Erfahrung einer schizophrenen
Psychose (bei seiner Schwester) und mit Bleulers mutiger und offener Bereitschaft zur
Introspektion sind wichtige Wurzeln seiner Zusammenschau von sogenannter Normalpsychologie
und Psychopathologie: der Patient manifestierte deutlicher, vergröbert und ins Extrem
verzerrt, allgemeinmenschliche Erlebnis- und Verhaltensweisen. Da war keine scharfe
Zäsur gesund — krank; potentiell Krankhaftes fand sich im scheinbar Gesunden, potentiell
Heilsames aber auch im Schizophrenen.
Daran musste Therapie anknüpfen und es zu stärken versuchen — eine Therapie, die sich
im alltäglichen Besorgen des Nötigen und im Erzieherischen eher austrug als im
Symptom-Deuten, Komplex-Aufdecken und biographischen Verstehen.
Der hier vorgelegte Text entstand aus Studien zur Psychopathologie und zur
Schizophrenielehre Bleulers. Dazu musst die Anamnese sowohl wie die Katamnese seines
Denkens bedacht werden: woher kamen die Ideen? Welche Paradigmen, Modelle, welches
Wirklichkeits- und Wissenschaftsverständnis hat er übernommen? Wie weit ist sein Denken
in den Zeitgeist eingebettet? Welchen Verlauf nehnmen bei Bleuler seine Begriffe, sein
Begriffsverständnis, seine Begriffsfassung und -wandlung in Umfang und Inhalt? Gerade
im Autismusbegriff zeigt sich eine inflationäre Tendenz zur overinclusiveness.
Juris Druck + Verlag Dietikon, 2001
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