Schizophrene Menschen
Geleitwort von Manfred Bleuler
Christian Scharfetter ist seit seiner Jugend aus innerer Berufung dem Miterleben von
Menschenschicksalen, gerade von schwierigen Menschenschicksalen und so demjenigen der
Schizophrenie aufs tiefste verbunden. Das vorliegende Buch bedeutet einen Markstein seiner
Menschenerkenntnis und seiner Forschung. — Gleichzeitig aber hilft es auch, einen Markstein
in der bald hundertjährigen Schizophrenieforschung zu setzen.
Christian Scharfetter kam 1967 aus Innsbruck im Tirol, wo sein Vater Helmut Professor für
Neurologie und Psychiatrie war und wo er seine erste Ausbildung erwarb, an die Zürcher Klinik.
Er sah seine Aufgabe in der Erforschung der Zusammenhänge zwischen neurologischen,
allgemeinkörperlichen und psychischen Gegebenheiten bei der Entwicklung der Persönlichkeit —
und ihres schizophrenen Zusammenbruchs. Das Burghölzli hatte ihn durch seine
Schizophrenieforschung angezogen. Diese hatte ihren Ursprung in dem Verlangen unserer
Landbevölkerung nach einem Psychiater, der sich vor allem um den einzelnen Kranken und seine
Sorgen und Hoffnungen persönlich kümmere. Diesem Ruf folgte Eugen Bleuler von 100 Jahren, und
seine Beiträge zur Lehre und Behandlung Schizophrener entsprachen diesem Ruf. Scharfetter
fühlte sich wesensähnlichen Aufgaben verpflichtet. Still und hingebungsvoll arbeitet er seit
über 20 Jahren an der Zürcher Klinik. Das nahe Zusammensein mit dem einzelnen Kranken ist ihm
wichtig geblieben, wenn er auch seine übrigen psychiatrischen Aufgaben in Klinik, Forschung
und akademischem Unterricht ernst nahm. Er beschränkte sich aber nicht auf die Erforschung des
einzelnen, sondern behielt reges Interesse an allen Seiten der Schizophrenieforschung.
Warum wage ich zu sagen, dass sein vorliegendes Werk in der Entwicklung unserer Kenntnisse
über schizophrene Entwicklungen einen Markstein zu setzen hilft? Jahrzehntelanger Forschung
ist es nicht gelungen, eine einzige und spezifische Ursache schizophrener Störungen nachzuweisen.
Heute sind wir für den Gedanken bereit, dass es eine solche vielleicht gar nicht gibt. Vielmehr
ist deutlich geworden, wie mannigfache Dysharmonien, die sich bei der Persönlichkeitsentwicklung
störend geltend machen, die Prädisposition zur schizophrenen Erkrankung bilden. Scharfetters
Hauptarbeit richtete sich darauf, diese Wechselwirkungen in der persönlichen Entwicklung bis
zum Zusammenbruch des Ich, dem Ausbruch der Psychose, zu studieren. Wenn Scharfetters
Darstellungen zur Hauptsache allem Persönlichen und Menschlichen verpflichtet sind, dem, was
im einzelnen Schizophrenen vorgeht, so ist es eindrucksvoll, wie er Zusammenhänge der Welt des
Schizophrenen mit der Entwicklung von Weltanschauungen, von philosophischem und religiösem Leben,
gerade auch in anderen Kulturen, in seine Betrachtung einbezieht.
Klar und deutlich ergibt sich aus Scharfetters Darstellung, wie nahe sich viele heutige
Schizophrenieforscher in der Zusammenfügung verschiedener Auffassungen und Forschungsergebnisse
zu einem vielgliedrigen Entwicklungskonzept für das Verstehen und Deuten, für Wissenschaft,
Therapie und Rehabilitation kommen.
Urban und Schwarzenberg (ISBN 3-621-27094-9)