Professor Dr. med. Christian Scharfetter

Dept. of Psychiatry, Psychotherapy & Psychosomatics

Psychiatric Hospital, University of Zurich

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Trithemius

Allgemeine Psychopathologie

Die Aufgaben der allgemeinen Psychopathologie

Psychiatrie will — aus welchen supponierten Motiven auch immer — dem Kranken helfen. Dass sie diesen guten Willen immer schon in einem rechten Tun erfolgreich verwirklichen könne, wenn sie auch manche gute Tat vollbringt, kann man leider nicht behaupten. Wir wissen noch zu wenig, wie die vielen verschiedenen Daseinsnöte, die den Psychiater und klinischen Psychologen angehen, zustande kommen — und wie wir diese Not wenden, wie wir am besten lindern, heilen, gar vorbeugen können. Je besser wir erklären und verstehen lernen, umso eher sollte das gelingen. Das setzt voraus, dass wir das Erleben und Verhalten des Menschen, den wir in seinem lebensgeschichtlichen soziokulturellen Kontext als krank bezeichnen, möglichst genau erfassen.
 
Psychopathologie als Erlebnislehre

Der Patient "hat" nicht Symptome, sondern erlebt bestimmte Erfahrungen und verhält sich daher in beschreibbar von der Gruppennorm abweichende Weise. Nichts von seinem Tun ist schlechthin unsinnig. Das ist keine wissenschaftliche Aussage, sondern ein Bekenntnis zur Psychopathologie als Erlebnislehre und Weg zur Therapie. Nur in dieser Einstellung werden wir dem kranken Menschen gerecht.
 
Deskriptive Psychopathologie als Grundlage der "Psychodynamik"

Beschreibende Psychopathologie ist nicht statische Psychiatrie. Gerade der, der sorgfältig und selbstkritisch beobachten und beschreiben gelernt hat, wird deutlich erkennen, dass Psychopathologie etwas unaufhörlich Bewegtes, nichts Starres ist, dass kein Gegensatz zwischen deskriptiver Psychopathologie und sog. "Psychodynamik" besteht, sondern dass eine saubere deskriptive Psychopathologie die Grundlage für eine Werdens-Geschichte ist, die sich nicht im Spekulativen verliert. Auch die kategorisierende Betrachtung hat den Mitteilungsgehalt des beschreibbaren Symptoms im Sinne. Damit ist sie eine Voraussetzung für die Erforschung eines Individuums in seinem jeweiligen lebensgeschichtlichen ("Situation") und dass heißt immer auch gemeinschaftsabhängigen Werden.

Thieme, Stuttgart (ISBN 313-531-5053)

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